Gerhard Schmitz, Benedictus Levita, in: HRG
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Bemerkung

Der Artikel erschien in der zweiten Auflage des Handwörterbuches zur deutschen Rechtsgeschichte (3. Lfg., 2005, Sp. 520–522). Die Publikation im Internet erfolgt mit ausdrücklicher Genehmigung des ESV – Erich Schmidt Verlags GmbH & Co. (Berlin, Bielefeld, München)

Benedictus Levita

nennt sich der dem pseudoisidorischen Fälscherkreis zugerechnete Autor einer in drei Bücher (mit Anhängen) gegliederten (Kapitularien-)Sammlung mit nach Seckels Zählung insgesamt 1721 Kapiteln. Aus der inneren Chronologie der pseudoisidorischen Fälschungen nimmt man meist eine Entstehung bis etwa 852 an. B. behauptet, vor allem im Archiv der Mainzer Kirche gearbeitet zu haben. Er habe zusammengestellt, was Ansegis übersehen oder aus anderen Gründen nicht in sein Werk aufgenommen habe. Konsequenterweise gibt er sein Opus als Fortsetzung der Collectio Ansegisi aus, mit dem er regelmäßig zusammen überliefert ist.

B. hat eine bunte Palette von Quellen benutzt, von der Bibel über die Patristik, Kirchenrechtliches (aller Art) bis hin zu Kapitularien und natürlich der Sammlung des Ansegis. Von den Volksrechten kennt er merkwürdigerweise nur die Lex Baiuvariorum. B. bietet mehrere hundert Kapitel pro Buch bar jeder systematischen, chronologischen oder sonstigen Ordnung. Schon im Vorwort hat er auf die „duplicata vel triplicata“ verwiesen und sich dafür u. a. mit angeblichem Zeitmangel entschuldigt. Die sog. Additiones bilden eine teilweise geradezu amorphe Masse. Sofern die Additio I (von Semmler als Collectio capitularis Benedicti Levitae monastica ediert [CCM 1, 1963, 537–554]) überhaupt tradiert ist, wird sie dem 3. Buch zugerechnet, tritt also als formale Einheit so gut wie nicht in Erscheinung, die Additiones 2–4 machen trotz verschiedener Textmassen einen insgesamt ganz ungeordneten Eindruck.

Dass B. dieses bunte Durcheinander als Kapitularien Pippins, Karls d. Gr. oder ||521|| Ludwigs d. Fr. ausgibt, hat ihm seinen Ruf als Fälscher eingetragen. Eine beträchtliche Masse seines Materials ist aber echt und entstammt nach jüngeren Untersuchungen (Lukas, Schmitz) teilweise exzellenten Vorlagen.

Die eigentlichen Fälschungsziele werden sich erst nach Abschluss der in Arbeit befindlichen Neuedition und mit einem differenzierteren Fälschungsbegriff präziser beschreiben lassen: Zwischen redaktionellen Eingriffen und der Fälschung ganzer Stücke liegt eine stufenreiche Grauzone. Jedenfalls sind ihm die aus den pseudoisidorischen Dekretalen herausdestillierten Fälschungsziele nicht einfach zu unterschieben. Charakteristisch Pseudoisidorisches ist nicht dominant, und es dürfte kaum stimmen, dass die „Fülle des Stoffs“ lediglich „die Hülle der Fälschungen“ (Seckel) habe abgeben sollen. Die Verflechtungen mit den anderen Teilen der pseudoisidorischen Fälschungen sind jedoch nicht zu übersehen, es scheinen zwischen einzelnen Fälschungsteilen „mehrschichtige Hin- und Herbenutzungen stattgefunden zu haben“ (Seckel, RE S. 296), und aus der Additio IV ergibt sich, dass die Capitula Angilramni nicht Papst Hadrian, sondern „römischen Synoden zugeschrieben werden“ sollten (Seckel). Hier treten auch die Beziehungen zu den pseudoisidorischen Dekretalen am deutlichsten zutage: B. habe sie hier „mit einem Text avant la lettre“ (Seckel, RE S. 300) vor sich gehabt.

Da sich die Überlieferung sträubte, „den vielen toten Stoff, den der Fälscher in seiner Exzerptensammlung aufgehäuft hatte, auf die Dauer unvermindert mitzuschleppen“ (Seckel), ist B.s Werk lediglich in zwei Handschriften vollständig überliefert: Codd. Par. lat. 4634 und 4636. Im übrigen ist die Geschichte der Überlieferung eine „der Kürzung und Exzerpierung“. Der Erfolg der Sammlung war gemessen an ihrem Umfang mäßig.

Capitularia Regum Francorum. Additae sunt Marculfi monachi et aliorum formulae veteres, et Notae doctissimorum virorum. Stephanus Baluzius Tutelensis in unum collegit, ad vetustissimos codices manuscriptorum emendavit, magnam partem nunc primum edidit. Notis et indice illustravit. (Paris 1677) (zu benutzen im Nachdruck von P. de Chiniac, Mansi 17B, 1780), MGH LL 2, 2 S. 17–158 (ed. G. H. Pertz), zur Neuedition (mit weiteren Materialien): http://www.benedictus.mgh.de – W.A. Eckhardt, Art. B.L. HRG 1, 11971, 326–364, E. Seckel, Art. Pseudoisidor, RE 16, 31905, 265–307; E. Seckel, Studien zu Benedictus Levita I–VIII, NA 26, 1901, 39–72;29,1904, 275–331; 31, 1906, ||522|| 59–139 (Nachtrag 238f.); 34, 1909, 319–381; 35, 1910, 105–191, 433–539; 39, 1915, 15–130; 41, 1919, 157–263, fortgesetzt von J. Juncker, ZRG Kan. Abt. 23, 1934, 269–377 und 24, 1935, 1–112. E. Seckel, Benedictus Levita decurtatus et excerptus Fs. für H. Brunner, 1914, 377–464, F.-L. Ganshof, Le droit romain dans la Collection de Benoît le Lévite, Ius Romanum medii aevi I, 2, b, cc β, 1969; H. Fuhrmann, Einfluss und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen, Schriften der MGH 24, 1, 1972, 163–167; G. Schmitz, Die Reformkonzilien von 813 und die Sammlung des Benedictus Levita, DA 56, 2000, 1–31; G. Schmitz, Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Fälschen. Unausgegorenes und Widersprüchliches bei Benedictus Levita, in: Fortschritt durch Fälschungen? (MGH Studien und Texte 31, 2002, 29–60; V. Lukas, Eine Sammlung von Kapitularien Karls des Großen bei Benedictus Levita, ZRG Kan. Abt. 90 (2004) S. 1–26.