Max Conrat, Der Novellenauszug De ordine ecclesiastico, eine Quelle des Benedikt Levita, in: Neues Archiv 24 (1899), S. 341348
Cod. Phillips 1735, nunmehr Cod. Berol. Phillips 160, enthält den als Epitome Monachi bezeichneten Auszug der Lex Romana Visigothorum, nebst Anhang, sowie fragmentarisch einen Auszug der als Epitome Iuliani bekannten Sammlung der Novellen Iustinians, mit welchem die Hs. abschliesst. Auf den letzteren, der bisher eine eingehendere Untersuchung nicht erfahren hat 1, glaube ich hiermit auch die Aufmerksamkeit der Leser dieser Zeitschrift lenken zu dürfen, da derselbe sich als die Quelle der der Epitome Iuliani entlehnten Texte in der Capitulariensammlung des Benedikt Levita und seines dritten Anhangs darstellt.
Der Auszug der Epitome Iuliani (fol. 158r-164v) schliesst sich ohne jeden Zwischenraum dem Anhange der Epitome Monachi, Fragmenten zweier Novellen Valentinians II., an und ist mit diesen von der gleichen offenbar nicht den Archetyp darstellenden Hand, welche, wie der von verschiedenen Händen geschriebene Codex überhaupt, der Wende des 8. Jh. oder dem früheren 9. Jh. angehört2. Derselbe beginnt mit der Ueberschrift 'Incp. innovationes legum novellarum divi memoriae iustiniani a. sub quo quintus sinodus constantinopoli congrega (congregata) est. De ordine ecclesiastico' und bezeichnet sich somit als Sammlung der auf den Ordo ecclesiasticus bezüglichen Neuerungen der Novellen Justinians, des Veranstalters des fünften allgemeinen Concils. Hierauf folgt ein Rubrikenverzeichnis von 52 Capiteln, auf welches ich des Weiteren zurückkomme,
und sodann, unter Wiederholung der Rubriken vor den einzelnen Capiteln, die Schrift selbst. Dieselbe ist jedoch nur bis in den Beginn des 31. Capitels erhalten ('Abbatis ordinatio non secundum ordinem vel'): offenbar sind die Blätter der Hs., welche den Rest des Auszugs enthielten, verloren gegangen.
Zur näheren Charakterisierung des Auszugs sei bemerkt, dass in demselben der Text aus Julians Novellensammlung einem Verfahren unterworfen worden ist, das sich am füglichsten als Epitomierung in dem Sinne bezeichnen lässt, in welchem dieser Ausdruck für die unter dem Namen Epitome bekannten Bearbeitungen der Lex Romana Visigothorum gebraucht wird. Im Wesentlichen tritt demgemäss auch nichts zu Tage, was die Novellensammlung nicht enthält; bekommt dann freilich durch das Verfahren der Verkürzung bezw. Zusammenstreichung der Text weithin ein von der Vorlage abweichendes Aeussere, so schimmert andererseits doch auch wieder überall die Fassung derselben hindurch in dem Masse, dass die hier angenommene Benutzung der Epitomie Iuliani für zweifellos gelten muss. Auch sprachlich tritt nur selten Eigenthümliches zur Erscheinung. Zum Unterschied von jenen verkürzenden Bearbeitungen der Lex Romana Visigothorum will aber unser Auszug, wie schon die Ueberschrift verkündet, nicht ein Abbild der ganzen Novellenvorlage liefern, sondern lediglich die auf den Ordo ecclesiasticus bezüglichen Novellen Justinians, bezw. den den Ordo ecclesiasticus betreffenden Theil der Epitome Iuliani, wiedergeben bezw. verkürzen. In Wahrheit sind aber durchaus nicht alle auf den Ordo ecclesiasticus bezüglichen Capitel der Epitome Iuliani bearbeitet worden: es fehlen die auf den Osten bezüglichen Texte, ferner die zahlreichen Bestimmungen, welche dem geistlichen Stande abgesehen von den Personen weiblichen Geschlechts mit Bezug auf Geschlechts- und eheliche Verhältnisse Beschränkungen auferlegen, auch zahlreiche sonstige Capitel der Novellensammlung. Das Mass des vom Verfasser bearbeiteten Materials, die Reihenfolge, in welcher es vorgetragen wird, auch das gelegentliche Zusammenarbeiten verschiedener Stücke der Vorlage zu einem, ergiebt die folgende Uebersicht, welche zu den einzelnen Capiteln des Auszugs, die ich dem Rubrikenregister gemäss aufführe1, die Quelle
verzeichnet. Da die Capitelrubriken des Auszugs von den Ueberschriften, welche die vom Verfasser benutzten Stücke in der Epitome Iuliani besitzen, durchaus abweichen, zugleich aber zum Theil unzureichend sind, würde es bezüglich einer Anzahl von Capiteln aus der Zahl derjenigen, deren Text in der Hs. nicht erhalten ist, unmöglich sein, mit Sicherheit die Quelle anzugeben, wenn uns nicht dieselben, worauf ich zurückkomme, bei Benedikt Levita erhalten wären. Dank dieses Hilfsmittels lässt sich der vom Verfasser benutzte Text der Novellensammlung nur in sehr wenigen Fällen nicht sicher feststellen.
1 |
De ordinando episcopo |
(Const.) 6, (cap.) 1. |
2 |
De consecracione episcopi |
115, 2. |
3 |
Ut episcopus sit liber omnibus nexibus |
115, 6. |
4 |
De accusatore contra ordinacionem episcopi |
115, 3; 6, 1; 115, 3 u. 4. |
5 |
Ut episcopus per semetipsum non litiget |
6, 2. |
6 |
De non cogendo episcopo ad iuditium venire |
115, 9 u. 10. |
7 |
De accusacione contra episcopum |
115, 39. |
8 |
De iniuria episcopi et letanea subversa |
115, 52. |
9 |
Ut episcopus neminem cedat |
115, 16. |
10 |
De rebus episcopi |
119, 17. |
11 |
De intestato episcopo |
119, 18. |
12 |
De episcopo expulso de civitate |
115, 17. |
13 |
De non excumunicando sine causa |
115, 15. |
14 |
De ordinibus sacris |
6, 7. |
15 |
De multitudine clericorum |
6, 8. |
16 |
De clericus qualis fiant (Quales sint clerici in der Sammlung) |
6, 4. |
17 |
De clericis qui de eclesia desistunt |
51, 1. |
18 |
Ut clerici non habeant acciones seculares |
115, 8. |
19 |
De clericis falsariis |
115, 33. |
20 |
De clerico ad tutelam vocato |
115, 7. |
21 |
De clericis ad tabulas ludentes |
115, 13. |
22 |
De sanctis eclesiis |
7, 1. |
23 |
De rebus eclesie inlicitae contractis |
111, 9. |
24 |
De sacra vasa |
7, 8 u. 7. |
25 |
De mutuato sancto loco |
7, 6. |
26 |
De emphiteoseos contractus |
7, 3. |
27 |
De commutacione inter eclesias |
48, 2. |
28 |
De eclesiastica munera |
119, 8. |
29 |
De possessionibus ad religiosa loca pertinentibus |
119, 5. |
30 |
De redemptione captivorum |
119, 12 |
31 |
De abbate creando et de sanctis monialibus |
115, 54. |
32 |
De monacho creando et non statim ordinando (?) |
4, 2. |
33 |
De monacho vel monacha |
70, 1. |
34 |
De monachis coste munialibus (lies 'sanctimonialibus' oder dergleichen) |
73, 1-3. |
35 |
De monacho qui monasterio suo demiserit |
4, 5. 7. 8. |
36 |
De servo in monasterio positum |
115, 55. |
37 |
De his qui in monasterio ingrediuntur |
? 1. |
38 |
De monachis laicis |
115, 66. |
39 |
De sponso vel sponsa in monasterio ingresos |
115, 60. |
40 |
De eclesia aedificanda |
61, 1. |
41 |
De his qui in domum suam oraturium habuerit |
52, 1. |
42 |
De electione abbastissae |
115, 54. |
43 |
De diaconissa |
6, 6. |
44 |
De relegiosa muliere decepta |
115, 67. |
45 |
De restituendum monastario |
7, 11. |
46 |
De litigatoribus |
69, 7. |
47 |
De scenicis |
115, 68. |
48 |
De blasfemia in Deo |
71, 1. |
49 |
De herede qui piam dispositionem non implet |
119, 13. |
50 |
De Falcidia . . loca minuenda2 |
(?) 119, 14. |
51 |
De rebus que paganis non conceduntur |
119, 19. |
52 |
De prescriptione XL annorum |
119, 6. |
Ich habe mich soeben bei der Reconstruction der in dem Cod. Phillips nur fragmentarisch überlieferten Schrift De ordine ecclesiastico der Capitulariensammlung des Benedikt Levita bedient. Es besteht nämlich zwischen jener und dieser (B.), den dritten Anhang (Add. III) eingeschlossen, das folgende Verhältnis. Von den 31 Capiteln, deren Text die Hs. liefert, kehren 12 völlig, und zwar auch mit Bezug auf die Rubrik, übereinstimmend in B. und Add. III wieder. Wenn dann aber aus der Zahl der 21 Capitel der Sammlung, von welchen der Cod. Phillips nur die Ueberschrift erhalten hat, B. und Add. III 18 übereinstimmende Capitelrubriken mit zugehörigem den Text der Epitome Iuliani epitomierenden und auf kirchliche Angelegenheiten bezüglichen Inhalt überliefern, so ist an
zunehmen, dass diese 18 Capitel von B. und Add. III 18 von den 21 Capiteln
unserer Schrift gleichkommen, so dass uns demnach die Sammlung bis auf 3 Capitel
bekannt ist. Um so mehr, wenn sie in der Art der Epitomierung völlig den in
der Hs. überlieferten Capiteln gleichen. Dabei kommt jedoch in Betracht,
dass die Capitulariensammlung einzelne der 18 Capitel in einer den klerikalen
Zwecken derselben entsprechend bearbeiteten Fassung bietet, während daneben
jedoch regelmässig, meistens in Add. III, die reine und offenbar dem Auszug
De ordine ecclesiastico eigenthümliche Form erhalten ist1. Ich
gebe hiermit das Register der bezüglichen Texte, wobei die bearbeiteten
durch Cursiv kenntlich gemacht sind.
8 = B. 2, 129; | Add. III, 28. |
11 = | Add. III, 31. |
14 = B. 2, 128; | Add. III, 34. |
15 = B. 2, 127; | Add. III, 37. |
16 = B. 2, 126; | Add. III, 40. |
17 = B. 2, 125; | Add. III, 43. |
18 = B. 2, 124; | Add. III, 46 u. 47. |
19 = B. 2, 123. | |
20 = | Add. III, 50. |
21 = | Add. III, 53. |
22 = | Add. III, 56. |
29 = B. 2, 109. | |
33 = B. 2, 110. | |
34 = B. 1, 378; | Add. III, 59. |
35 = B. 1, 379 u. 2, 108; | Add. III, 62. |
36 = B. 1, 380. | |
38 = B. 1, 381; | Add. III, 66. |
39 = | Add. III, 69. |
40 = B. 1, 382; | Add. III, 72. |
41 = B. 1, 383 u. 2, 102; | Add. III, 75. |
42 = B. 1, 384. | |
43 = | Add. III, 78. |
44 = B. 1, 385 u. 2, 100; | Add. III, 81. |
45 = B. 1, 386. | |
46 = B. 1, 387. | |
47 = B. 1, 388. | |
48 = B. 2, 101; | Add. III, 84. |
49 = | Add. III, 87. |
51 = | Add. III, 90. |
52 = B. 1, 389. |
Die Bedeutung dieses Thatbestandes liegt nicht lediglich darin, dass sich in Folge desselben die fragmentarische Ueberlieferung unseres Auszugs, welche Cod. Phillips liefert, in sehr erheblichem Maasse ergänzen lässt. Vielmehr ergiebt derselbe auch einen Beitrag zu den Quellenverhältnissen des Benedikt Levita. Abweichend von Pseudo-Isidor und den Capitula Angilramni findet sich in der Capitulariensammlung des Benedikt Levita nebst Anhang von den Quellen römischen Rechts auch die Novellensammlung des Julian in Contribution gesetzt1. Und zwar in der Gestalt, welcher wir in unserer Schrift De ordine ecclesiastico begegnen und lediglich in dieser: denn andere Texte, welche auf die Epitome Iuliani zurückgehen, als die angeführten, werden nicht benutzt2. Man darf sich das Verhältnis beider Schriften dann offenbar nicht in der Weise zurechtlegen, dass Benedikt und Anhang für die Quelle der Sammlung De ordine ecclesiastico zu gelten hat. Denn ganz abgesehen von dem Altersverhältnis, welches eine solche Annahme ausschliesst, hat letztere ja neben den mit ersteren gemeinschaftlichen Texten auch solche, welche ihr eigenthümlich sind (Cap. 1-7, 9, 10, 12, 13, 23-28, 30- 32, 37, 50), aufgenommen. Auch liess sich ja eine Schrift, welche, wie unser Auszug, ausschliesslich eine Zusammenstellung Justinianischen Novellenrechts ist und in der Ueberschrift als solche bezeichnet wird, aus Benedikt und Anhang gar nicht herstellen: denn an letzterer Stelle wird die Justinianische Gesetzgebung nirgends als Quelle namhaft gemacht und ist das Material Justinianischen Ursprungs in die grosse Masse von Normen anderer Herkunft hineingeschichtet der Art, dass es einer wissenschaftlichen Untersuchung bedarf, zu welcher das Zeitalter durchaus nicht befähigt war, um dasselbe herauszulösen. Diese Gründe sind so schlagend, dass man sich nicht auf den Umstand zu berufen braucht, eine Schrift, welche, wie der Auszug De ordine ecclesiastico, ausschliesslich Material einer einzigen
Quelle verarbeitet, müsse dieser im Zweifel näher stehen als eine Arbeit, die, wie Benedikt, ihr Material von allen Seiten herschafft: von dem Umstande ganz abgesehen, dass die Afterverwendung, deren sich Benedikt Levita durch klerikale Bearbeitung seiner Texte schuldig macht, den relativ späteren Ursprung verräth. Sonach bleibt dann nichts anders übrig als die Annahme, dass entweder Benedikt Levita nebst Anhang den Auszug De ordine ecclesiastico als Quelle benutzt hat, oder beide Producte auf eine gemeinschaftliche Quelle zurückgehen. Letztere ist dann freilich eine unbekannte Grösse, wird sich aber füglich kaum anders vorstellen lassen als etwa in der Weise, dass man eine Epitomierung der ganzen Novellensammlung Julians supponiert, aus welcher Benedikt Levita und unser Auszug geschöpft haben. Aber wie auffallend, dass Benedikts Schrift dann gerade keine anderen Texte aufgenommen hat, als solche, welche sich auch im Auszuge finden! Empfiehlt sich aus diesem Grunde die Annahme, dass beide Schriften ihr Material einer gemeinsamen Quelle entlehnt haben, mit nichten, so steht dagegen der Auffassung nichts im Wege, dass Benedikt Levita und Anhang aus unserm Auszuge geschöpft hat. Schon das Alter der Handschrift, ganz abgesehen davon, dass ihr ein älterer Archetyp vorausgeht, nöthigt zu der Annahme, dass unsere Schrift zur Zeit der Abfassung der Capitulariensammlung nebst Anhang bereits vorhanden war, so dass die Möglichkeit einer Benutzung derselben durch Benedikt Levita besteht. Der Umstand, dass die Hs.1 und dann aller Vermuthung nach auch die Vorlage derselben gallischen Ursprungs ist, auch eine Spur auf sonstiges Vorkommen unserer Sammlung im fränkischen Reiche hinweist2, gestattet die Annahme einer gewissen Verbreitung derselben und giebt damit einigen Anhalt für die Vermuthung, dass sie Benedikt Levita nicht entgangen ist. Dass dieser nach unserer Annahme sein auf die Novellen Justinians zurückgehendes Material nicht der Quelle, sondern einer klerikalen Zwischenquelle entlehnt hat, ist durchaus nichts auffallendes. Es fehlt aber auch nicht an einem positiven Anhalt dafür, dass es sich wirklich so verhalten hat. Die Reihenfolge der Capitel im Auszug, welche
von derjenigen der Epitome Iuliani unabhängig ist und ein selbständiges System befolgt, das, der auf Sammlung des Materials De ordine ecclesiastico gerichteten Tendenz entspricht (Bischof 1-13, clerus 14-21, ecclesia und Kirchengut 22-30, Mönchthum 31-46, Beziehungen zu Weltlichem 47-52), hat bei Benedikt Levita und seinem Anhang Spuren zurückgelassen. In dem letzteren werden die Capitel des Auszugs sämmtlich, wenn auch nicht hintereinander, so doch in der Reihenfolge des Auszugs aufgeführt, während bei Benedikt Levita in den beiden Capitelreihen, in welchen vorzugsweise die Texte des Auszugs wiederkehren (1, 378-1, 389; 2,123-129), die Systematik desselben zum Vorschein kommt.