Drei versprengte Kapitel in der Hs. El Escorial, Real Biblioteca de San Lorenzo L. III. 8
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Die heute im Escorial befindliche Handschrift ist in Nordfrankreich entstanden und zwar in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Ihr Inhalt "reiht ohne erkennbare Systematik liturgische, patristische, kanonistische und komputistische Stücke aneinander". Sie ist nicht nur von verschiedenen Händen geschrieben, sondern auch noch "durch Nachträge verschiedener Art angereichert". Rudolf Pokorny, der aus dieser Handschrift die Capitula Silvanectensia I und II ediert hat und dem ich den Hinweis auf diese drei Exzerpte verdanke, vermutet, der Codex sei in der Zeit Bischof Erpuins von Senlis († 6. Juni 872) entstanden(1).
Auf den letzten sechs Zeilen von fol. 1v findet sich von einem relativ fein schreibenden, in etwa aber mit der in diesem Teil tätigen "Haupthand" gleichalten Schreiber vor Beginn der Capitula Silvanectensia auf fol. 2r einer der eben genannten Nachträge. Er enthält drei kurze Benedict-Kapitel ohne jede Inskription und auch ohne Rubrik. Es sind:


Ben. Lev. 2, 29

Decimas tuas et primicias non tardabis offerre domino de filiis tuis primogenitis. De bubus quoque et de ovibus similiter facias. Septem diebus sit cum matre sua, die octavo redde filium domino.

Kommentar:
Die Quelle des Kapitels ist Ex. 22, 29-30 mit den für Benedict typischen kleinen Veränderungen (Einfügung von Domino nach offerre und die Variante de filiis tuis primogenitis (statt primogenitum filiorum tuorum dabis mihi). Vgl. auch SECKEL, in: NA 34 (1909) S. 326.


Ben. Lev. 2, 76

Presbiteri degradati et post degradationem multis sceleribus implicati, ad pęnitentiam publicam secundum canones redigantur.

Kommentar:
Die Quelle Benedicts ist unbekannt: "Der unbekannte Kanon, der in unserem Kapitel vorzuliegen scheint, richtet sich gegen die Entwickelungstendenz, die schliesslich zur Befreiung der Kleriker von der öffentlichen Busse alten Stils führte" (SECKEL, in: NA 34, 1909, S. 340).


Ben. Lev. 2, 172

Ut sacerdotes stolas portant propter signum castitatis, sicut decretum est.

Kommentar:
Die Quelle zu diesem Kapitel ist ebenfalls unbekannt (SECKEL, in: NA 35, 1910, S. 126). Mit Ausnahme von sacerdotes ist das Kapitel wortgleich wiedergegeben in den Capitula Vesulensia c. 2 (MGH Capit. Episc. 3, ed. POKORNY S. 346). Benedict und die Capitula Vesulensia teilen sich vermutlich dieselbe Vorlage. Aus Benedict ist die Vorschrift übergegangen in die Capitula Herards von Tours und andere Capitula episcoporum, vgl. ebd. S. 346 Anm. 6.



(1) So Rudolf POKORNY, MGH Capit. Episc. 3 (1995) S. 78 (dort ausführliche Beschreibung mit weiteren Literaturangaben).


2008-03-10 G.Sch.